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Was wäre die Meuterei auf der Bounty ohne den Brotfruchtbaum? Nie geschehen! Was hat die Myrrhe in der Zahnpasta zu suchen und die Chinarinde im Gin Tonic? Wo wachsen Rumbarasseln und wie viel Wasser braucht das liebste Obst der Deutschen, die Banane? Wie schützen kenianische Bauern ihre Hirse erfolgreich vor dem gefräßigen Stängelbohrer und was kann ökologische Landwirtschaft leisten? 

Für Marina Hethke, wissenschaftliche Leiterin des Tropengewächshauses, ist die feuchtwarme Pflanzenwelt unter der schützenden Glashaube weit mehr als eine Sammlung exotischer Gewächse oder bloßer Lernort der Botanik. Anbau, Gebrauch und die Reisewege von Pflanzen sind eng mit der Menschheitsgeschichte, mit der Mythologie, ökonomischen Faktoren und politischem Geschehen verknüpft. „Einmal zum Äquator und zurück“, „Querbeet durch die Gemüsereihen“, „Zeitreise von der Steinzeit bis heute“ und seit vergangenem Jahr auch „Die politische Pflanze“ heißen die Führungen und Workshops für Schüler, Studierende, Lehrpersonal und alle Menschen, die sich für die Zahnpasta- und andere Fragen interessieren.

Marina Hethke hat uns persönlich durch den Witzenhausener Dschungel begleitet und uns die Augen und Ohren für die Welt der Pflanzen geöffnet.

Marina Hethke

Hier im Tropengewächshaus und dem Gemüsegarten wachsen ausschließlich Nutzpflanzen, über 480 Arten sind es, darunter Deutschlands größte Kakaoplantage, deren Blüten, wie Sie erzählen, per Hand bestäubt werden. Sehr beliebt unter den Besuchern sind auch die vielen Bananenstauden, an denen fast immer Bananen hängen.

Ja, bei tropischen Nutzpflanzen denken alle immer zuerst an Genussmittel wie Kaffee, Tee, Kakao – oder eben Bananen und Ananas, die übrigens im Boden wurzelt! Was mir wichtig ist: Zu zeigen, dass die Menschheit ganz viele Pflanzen hat – von unserer frühen Geschichte angefangen über die Zahnpasta, die Schuhcreme, die Zigarette, das Lakritz, die Entdeckung der Antibabypille, die darauf beruht, dass man in einer Pflanze, der Yams-Wurzel, einen Wirkstoff gefunden hat, der den Zyklus verändert... Bis hin zu der Euphorbia tirucalli (Bleistiftbaum), die in Deutschland als Zimmerdekoration verkauft wird, aber eigentlich dafür sehr ungeeignet ist. Wenn man die feinen Ästchen abbricht, bluten sie und wenn man das Sekret in die Augen bekommt, kann man vorübergehend erblinden. In der Heimat der Euphorbia tirucalli in Südamerika weiß man das, dort stehen ganze Hecken, um die Gärten vor Dieben zu schützen.

Ohne Pflanzen also kein Leben, könnte man sagen. Sie kleiden und ernähren uns, wir füttern damit Tiere, sie heilen oder schützen, was auch immer. Trotzdem gehen wir an ihnen im Allgemeinen meist ziemlich unaufmerksam vorbei. Warum?

Es gibt eine Theorie, die heißt Plant Blindness [Pflanzenblindheit] und geht davon aus, dass unser Gehirn auf Bewegung programmiert ist. Wenn ich hier im Gewächshaus ein Tier habe, was hüpft, fliegt oder krabbelt, ist sofort der Fokus auf dem Tier, egal wie groß es ist. Deswegen braucht es Vermittlung – was ich jetzt mache, ich bin eine Vermittlerin zwischen der Chinarinde oder der Myrrhe oder dem Reis und den Zuhörern. Ich erzähle oder ich gebe ihnen etwas und sage, riechen Sie mal dran. Das ist Zitronengras. Das ist Tee, das ist ein Heilmittel, es wehrt Mücken ab. Sie können es sogar selbst vermehren, einfach auf der Fensterbank.

Push-Pull steht auf der Tafel hier im Beet, das aussieht wie ein kleiner Hausgarten. Das ist keine Pflanze, sondern...?

...ein Knowhow-System der Bio-Landwirtschaft in Afrika. Mit der Push-Pull-Methode schützen kenianische Kleinbauern ihre Hirse vor dem Stängelbohrer: Sie pflanzen zwischen die Getreidehalme eine Leguminose, eine Hülsenfrucht mit schönen dreigeteilten Blättern – und die riecht ganz schrecklich für den Schädling und drückt ihn aus dem Feld: Push. Gleichzeitig sammelt die Leguminose Stickstoff aus der Luft, versorgt damit den Boden und schützt ihn außerdem vor Erosion. Und um das Beet herum ist ein Gras gepflanzt, das mit seinem Geruch den Schädling anzieht – Pull. Die Motte legt darauf ihre Eier ab, dann wird es abgeschnitten und verfüttert, irgendein Tier frisst somit die Eier samt Gras auf.

Sie sagen, man kann mit einer Pflanze alles darstellen, die guten wie die schlechten Seiten, die Historie, die Politik, die Ökonomie. Ein Beispiel unter anderen ist der Chinarindenbaum, ursprünglich in Zentralamerika beheimatet.

Die Eroberung der Welt hätte nicht stattfinden können ohne das Chinin des Chinarindenbaums. Das Aromatikum im Tonic Water für den Gin ist ja eher sekundär – auch wenn es der Jacob Schweppe aus Witzenhausen war, der das Bitzelwasser kreiert hat – wichtig ist das Heilmittel gegen die Malaria für die Soldaten. Im Zweiten Weltkrieg lagerte der Welt-Chinin-Vorrat in Amsterdam und als mit der deutschen Besetzung die Welt von der Malaria-Behandlung abgeschnitten wurde, gab es einen filmreifen Thriller um den Chinin-Deal zwischen einem Deutschen und amerikanischen Agenten. Auch unsere heiß geliebte Banane hat eine zweite Seite, denn sie braucht enorm viel Wasser, Nährstoffe und Wärme, um zu wachsen. Im konventionellen Anbau ist das eine der Pflanzen mit den meisten Pestiziden, vielleicht nach Baumwolle. Und diese Geschichten müssen auch erzählt werden!

Das auf drei Jahre angelegte Projekt „Die politische Pflanze“ des Tropengewächshauses Witzenhausen wurde jetzt als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Am Ende gibt es keinen Besuch in den Tropen ohne ein Mitbringsel: Wir bekommen zwei Witzenhäuser Riesenbohnen zum Anbauen im Garten geschenkt und eine Kaffeekirsche mitsamt Kulturanleitung für das Züchten von Kaffeesträuchern zuhause. Marina Hethke ist sicher, dass das gelingt, denn die tropischen Samen sind hochpotent, in ihrer Heimat fallen sie einfach ab und wachsen ohne Keimruhe im Nu an.

Und die spannende Story über die Meuterei auf der Bounty lassen Sie sich am besten selbst von Marina Hethke schildern! 

Der Dschungel ist nebenan…

Das Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen in Witzenhausen ist eine Einrichtung der Universität Kassel. Auf 1.200 Quadratmetern wachsen etwa 480 Arten tropischer und subtropischer Pflanzen. Diese sind in den vier aufeinanderfolgenden Häusern vom tropischen Hochland bis ins feuchte Tiefland nach klimatischen Ansprüchen und Nutzungsmöglichkeiten gruppiert und im möglichst praxisnahen Anbau demonstriert. 

Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen